Das Haus der bunten Bücher: Gendern? Wie lächerlich!

Gendern? Wie lächerlich!

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Lesezeit: ca. 5 Minuten
Liebe Hausgäste,

mir brennt was unter den Nägeln und zwar ganz gewaltig! Heute schreibe ich über die Notwendigkeit des Genderns und die Aussage "Ich fühle mich auch mit dem generischen Maskulinum angesprochen."





Warum das Thema plötzlich aus mir heraus muss? Am Mittwoch hielt ich in meinem Deutschkurs ein Referat zum Thema „Sprachlicher Relativismus – Wie Sprache unser Denken formt“. Ein geniales Thema, so interessant! Angefixt wurde ich durch einen TED Talk der Linguistin Lera Boroditsky (Link zum Video mit deutschen Untertiteln ↗) und so nahm ich ein paar von ihren Beispielen, fügte eigene Gedanken hinzu – total überwältigt von der Thematik.

Wisst ihr was? Am Besten, ich verschriftliche euch einen Teil meines Referats und zeige euch Beispiele:

Was passiert in dieser Szene?


Bildquelle: Fausey & Boroditsky (2010, 2011); Filipovic 2013

Vielleicht lautet eure Antwort: Die Person stößt die Vase um, weil sie nicht aufpasst. Das ist laut Lera Boroditsky eine typisch englische bzw. deutsche Aussage. Würde eine spanischsprechende Person gefragt werden, dann wäre die Antwort wahrscheinlich: "Die Vase fällt um."

Die Deutschen legen Wert auf die verantwortliche Person. Spanier*innen achten auf den Umstand „Unfall“. Das ist sprachlich verankert und läuft unterbewusst ab. Zur Verdeutlichung: Im Deutschen ist es normal, sich den Arm zu brechen. Im Spanischen sagt niemand: "Ich breche mir den Arm", es sei denn, jemand hat sich absichtlich den Arm gebrochen.

Anderes Beispiel: Wo steht die Laterne?





Eindeutig: Rechts vom Haus! Befragen wir einen Menschen eines Aboriginie-Stammes, in dem Kuuk Thaayorre gesprochen wird: "Die Laterne steht südlich des Hauses." Achtung! Die Bedingung für diese Aussage ist, dass die betrachtende Person nach Osten gewandt ist. Blickt sie nach Norden, steht die Laterne östlich des Hauses.

Das Schema habt ihr wahrscheinlich verstanden: Dieser Aboriginie-Stamm orientiert sich an der Landschaft, nicht an der betrachtenden Person, wie wir. Westlich egozentrisch gesehen ist bei uns die Laterne rechts vom Haus, die Katze links von mir und der Baum hinter dir. Auf Kuuk Thayorre ist die Laterne südlich des Hauses, die Katze nördlich von mir und der Baum östlich von dir.

Menschen mit einer Sprache wie Kuuk Thaayorre können sich sehr einfach orientieren, selbst, wenn sie in einem geschlossenen Raum sind. Diese Fähigkeit ist nicht etwa angeboren, sondern durch Denken und Sprache von klein auf antrainiert.

Wie viele Löwen sind auf diesem Bild?


Bildquelle: Pixabay ↗

Neun. Wie habt ihr das herausgefunden? Jedem Löwen wurde eine Nummer zugewiesen und die letzte gesagte Nummer ist die Anzahl der Tiere. Schon als Kinder lernten wir eine Zahlenreihe auswendig und sie anzuwenden. Im Amazonas gibt es das Volk der Pirahã, das die gleichnamige Sprache spricht. Frage ich dort dieselbe Frage, wird mir mein Gegenüber nicht genau antworten können. Das liegt daran, dass das Volk keine Zahlwörter besitzt und deshalb genaue Anzahlen nicht erkennt.

Was haben wir bis jetzt gelernt?


Jede Sprache besitzt eigene Metaphern, eigene feststehende Ausdrücke und bringt so eine eigene Denkweise mit. Im Deutschen verliebe ich mich – so, als würde ich mich vertun: "Mist, ich liebe falsch, ich habe mich verliebt." Im Französischen spreche ich von "tomber amoureux", in die Liebe fallen.

Mit jeder Sprache, die wir lernen, lernen wir nicht nur neue Wörter, sondern entdecken eine neue Kultur und vor allem eine andere Denkweise. Gesegnet sind Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, oder Menschen, die zumindest zwei Sprachen lernen. Karl der Große soll schon gesagt haben:
"Eine andere Sprache zu sprechen, ist wie eine zweite Seele zu besitzen."

Bevor ihr weiterlest, nehmt bitte einen Zettel zur Hand und zeichnet einen Arzt.


Und? Welches Geschlecht hat er?

"Männlich natürlich! Du wolltest ja 'einen Arzt'."
Schon, aber ich habe ja die Ärztin mitgemeint. Ich habe das nur nicht gesagt, weil das ist doch klar, das wird immer so gemacht!

Keine Sorge, mir geht es auch so. Denke ich an "Ärzte", habe ich kaum Frauen im Kopf. Denke ich an "Mathematiker", habe ich meine männlichen Mathelehrer im Kopf, obwohl es an meiner Schule auch Mathelehrerinnen gibt.

Was tun gegen diese einseitige Denkweise? Wir haben bisher festgestellt: Sprache formt unser Denken, so wie wir sprechen, denken wir auch. Also: Geschlechtergerechte Sprache verwenden! Oder sogar geschlechtsneutral sprechen! So habe ich das übrigens im ganzen Post gemacht. Schriftlich gendere ich gerne mit dem Sternchen, verbal gewöhne ich mir eine kurze "Sprechlücke" an, um das Sternchen zu markieren (z.B. "Ärzt-innen").

An diesem Punkt entstand in meinem Deutschkurs eine Diskussion. Zur Info: Ich bin auf einem Mädchengymnasium in der zwölften Klasse, meine Deutschlehrkraft ist ebenfalls weiblich.


Diverse Meinungen brannten auf: "Wenn bei uns von 'Liebe Kollegen' gesprochen wird, fühle ich mich als Frau auch angesprochen, obwohl ich eine 'Kollegin' bin. Und in der Schule ist doch mittlerweile angekommen, dass sowohl Männer als auch Frauen unser Kollegium vertreten."

Liebe Deutschlehrerin, das finde ich schön, dass Sie sich angesprochen fühlen und vor allem, dass das Kollegium zu über 50 Prozent aus Frauen besteht. Was jetzt so oder so bewertet werden kann.

Plötzlich meldet sich eine Schülerin: "Ganz ehrlich, das mit der Lücke beim Sprechen [Ärzt-innen] hört sich doch total blöd an. Und das mit dem Sternchen sieht nicht schön aus. Ich fühle mich auch als 'Schüler' angesprochen. Wenn ihr mich fragt: Ich finde das einfach nur noch lächerlich."

Wow!

Nur, damit ich das richtig verstanden habe: Du, als Mädchen, sprichst mir, als Mädchen, gerade den Wunsch ab, in der Gesellschaft repräsentiert und respektiert zu werden?

Ich will nicht einfach nur mitgemeint und mitgedacht werden! Ich will mitgenannt werden! Absichtlich!


Wir Mädchen und Frauen sind in der Pflicht, einzufordern, was wir wollen. Selbst wenn es uns gut geht. Sogar wenn es uns gut geht! Aus Solidarität zu den Frauen, denen es nicht gut geht. Aus Respekt vor den Frauen, die schon vor hundert Jahren dafür kämpften, dass Frauen Grundrechte wie Selbstbestimmung, Bildung oder das Wahlrecht erhalten. Nach diesen unzähligen Jahren können wir uns nicht damit zufrieden geben, nur mitgemeint zu werden!

Ich stehe vor der Klasse, zeige hautnah: "Sprache beeinflusst unser Denken, lasst uns anders sprechen!" Aber dann sehe ich in eure Gesichter und fühle mich – machtlos.

Wenn selbst wir Frauen es für unnötig – lächerlich – befinden, uns explizit mitzunennen, wie können wir es vom Rest der Gesellschaft erwarten?

4 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diesen informativen Beitrag. Das sind sehr aufschlussreiche Gedanken und Erkenntnisse, liebe Mila, und ich gestehe, dass ich da etwas zweigeteilter Meinung bin: Als Mädchen/Frau möchte ich unbedingt und explizit auch genannt werden, aber um einen längeren Text nicht ständig mit "Leser und Leserinnen" usw. ausstatten zu müssen, greife ich gerne nach neutralen Bezeichnungen, wie "Leserschaft". Wie hältst du es denn da? Früher schrieb man noch die Form "LeserInnen" für beide Geschlechter (also den I nach Leser groß), was aber auch nicht optimal ist ... Schwierige Sache, nicht wahr? Nun, die Diskussion ist eröffnet, vielleicht findet jemand hier genau die richtige Schreibweise, damit keiner sich ausgeschlossen oder missachtet fühlen muss? Gerne weiter so und liebe Grüße
    Annina

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  2. Liebe Annina, vielen Dank für deinen Kommentar.

    Der Ausdruck "Leser und Leserinnnen" ist recht lang, wie du es sagst und außerdem exkludiert er Personen, die sich in diesem binären Geschlechtersystem nicht wiederfinden.

    "Leserschaft" ist eine gute Alternative oder auch "Personen, die lesen". Sonst schreibe ich auch gerne "Leser*innen" (der Stern soll alle nichtbinären Personen inkludieren). Das große Binnen-I sieht meiner Meinung nach nicht gut aus und ist, glaube ich, auch falsch wegen des Großbuchstabens innerhalb des Wortes.

    "Personen, die lesen" passt zum Beispiel nicht immer, aber das kommt auf den jeweiligen Satzzusammenhang an. Ich nehme immmer den Ausdruck, der im Moment besser passt und leichter über die Zunge geht. Hauptsache neutral oder allumfassend.

    Alles Liebe,
    Mila

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  3. Ahoi Mila,

    danke für diesen starken Beitrag!
    Ich spare mir die Worte und sage: Unterschreib´ ich! Und tue ich in meine Schatztruhe!

    Liebe Grüße
    Ronja von oceanloveR

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  4. Liebe Ronja, vielen lieben Dank!

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